Natur als Forschungslabor

Am Nordcampus der Universität Göttingen liegt eine ganz besondere Sammlung, die sich auch im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen vorstellt: der Experimentelle Botanische Garten. Er beherbergt etwa 2.000 bis 3.000 Pflanzenarten – ganz genau kann dies jedoch keiner sagen, da es überwiegend lebende Pflanzen und diese immer im Wandel sind. Sicher ist aber, dass es ein Ort ist, an dem Wissenschaft und Natur aufeinandertreffen. Ich sprach mit Lars Köhler, Kustos des Gartens, über die einzigartigen Merkmale und die bedeutende Rolle der Verbindung von Pflanzen und Forschung.

Experiment mit unterschiedlichen Jungbaumarten. Foto: Experimenteller Botanischer Garten.

Forschung inmitten der Natur

Seit 2014 lenkt Lars Köhler die Geschicke des Experimentellen Botanischen Gartens, der nicht nur ein schöner Ort zum Besichtigen, sondern auch wichtig für die Lehre und Forschung an der Universität Göttingen ist. Unterstützt wird er von zwölf Gartenmitarbeiter*innen sowie sechs bis acht studentischen Hilfskräften, die überwiegend von März bis Oktober viel mit Arbeiten im Freiland des Gartens beschäftigt sind. In der anderen Hälfte des Jahres hingegen arbeiten sie beispielsweise die gesammelten Pflanzensamen auf, also reinigen und ordnen diese in den Katalog Index Seminum für den internationalen Samentausch ein. Auch die Maschinen und Geräte setzen die Mitarbeiter*innen und Student*innen dann wieder instand.

Der Experimentelle Botanische Garten ist der Abteilung Pflanzenökologie und Ökosystemforschung der Fakultät für Biologie und Psychologie zugeordnet. Die Abteilung nutzt den Garten für ihre Forschungsarbeiten zu Themen wie Klimawandel, Biodiversität und Ökosystemleistungen. Forschungseinrichtungen wie klimatisierbare Pflanzenwuchskammern und ein Baumkronenpfad (für ökologische Messungen in der Kronenregion von neun heimischen Laubbaumarten) ermöglichen innovative Forschungsansätze. In Deutschland bisher einzigartig ist zudem das Göttinger Wurzellabor. Hier können Forscher*innen den Wurzelraum von Gehölzen beobachten und experimentelle Manipulationen durchführen. Sie untersuchen beispielsweise, wie verschiedene Baumarten auf unterschiedliche Nährstoff- und Wassergehalte des Bodens reagieren. Besonders mit Blick auf den Klimawandel und die prognostizierte größere Sommertrockenheit sind dies wichtige Fragestellungen, die im Wurzellabor nicht nur auf Basis der oberirdischen Pflanzenorgane, sondern auch im Bereich des Wurzelsystems untersucht werden können.

Experimente der Agrarökologie mit unterschiedlichen Gemüsesorten im Experimentellen Botanischen Garten.
Auch andere Abteilungen nutzen die Versuchsanlagen des Gartens. Experiment der Agrarökolog*innen mit unterschiedlichen Gemüsesorten. Foto: Experimenteller Botanischer Garten

Schutz und Erhalt seltener Pflanzenarten

Neben der Forschung an verschiedenen Baumarten und ihren Wurzelsystemen, gehört auch der Erhalt von seltenen Pflanzenarten zu den Aufgaben des Gartens. Hierzu zählen Ackerwildkräuter wie Frauenspiegel (Legousia speculum-veneris) oder Flammen-Adonisröschen (Adonis flammea), die ursprünglich häufig auf unseren Äckern zu entdecken waren. Durch die heute intensivierte Landwirtschaft und den starken Einsatz von Dünger und Pestiziden sind viele Ackerwildkräuter in ihrem Bestand stark zurückgegangen und  teilweise vom Aussterben bedroht. Unter geeigneten Bedingungen können einige der bedrohten und im Experimentellen Botanischen Garten kultivierten Pflanzenarten wieder an ihren natürlichen Standorten siedeln.

Ein Beispiel hierfür ist der Bergfenchel (Seseli montanum). Diese Pflanzenart gehört zwar nicht zu den Ackerwildkräutern, ist aber dennoch stark bedroht. Sie kommt deutschlandweit nur am Gebirgszug Weper in der Nähe von Göttingen vor. Der Experimentelle Botanische Garten war über mehrere Jahre an einem Wiederansiedlungsprojekt beteiligt. Dabei wurden Jungpflanzen im Garten angezogen, um sie dann an geeigneten Standorten an der Weper wieder anzusiedeln. So trägt der Garten dazu bei, seltene Pflanzenarten auch außerhalb des Gartens zu erhalten.

Kornblumen aus der Natur in einem Gewächshaus des Experimentellen Botanischen Gartens der Uni Göttingen.
Auch die hier abgebildeten Kornblumen gehören zu den Ackerwildkräutern. Foto: Experimenteller Botanischer Garten

Einblicke in die Welt der Natur im Sammlungsschaufenster

Das Ausstellen von Pflanzen im Sammlungsschaufenster ist aus konservatorischen Gründen nicht möglich. Daher zeigt der Experimentelle Botanische Garten in seiner Vitrinenspalte neben Fotos auch aufbereitetes Saatgut, wie es  im jährlichen Index Seminum angeboten wird. Der Garten bietet Samen von etwa 700 bis 900 Pflanzenarten an. Jedes Jahr werden zwischen 1.500 und 2.000 Samenportionen an mehr als hundert Botanische Gärten weltweit verschickt.

Zudem zeigt Lars Köhler einen Sensor zur Saftflussmessung in Baumstämmen im Sammlungsschaufenster. Dieser kann beispielsweise Hinweise darauf geben, wie gut ein Baum mit Wasser aus dem Boden versorgt ist. Da Bäume über ihre Blätter Wasser verlieren, entsteht ein Unterdruck in den Gefäßen des Holzes. Dieser treibt den Transport von Wasser bzw. Saft aus dem Boden über die Wurzeln durch den Stamm in die Blätter an. Dieser Saftstrom kann dann mit einem kurzen Wärmeimpuls im Stamm gemessen werden, da der Großteil des Wassers durch die jüngsten Jahrringe in den äußeren Zentimetern des Stammes fließt. Der langsam aufsteigende Saftstrom verformt das dadurch entstandene Wärmefeld im Holz und ermöglicht so wissenschaftliche Erkenntnisse dazu.

Saftflussmesgerät. Sensoren diein einem Baumstamm befestigt sind um den Saftfluss zu messen.
Saftflussmessgerät im Sammlungsschaufenster. Foto: Lena Heykes

Eine Zukunft für Artenvielfalt in der Natur

Der Experimentelle Botanische Garten wird auch in Zukunft die nötige Infrastruktur für die pflanzenökologische Forschung und Lehre in Göttingen bereitstellen. Darüber hinaus möchte der Garten seinen Besucher*innen auch weiterhin viele interessante Pflanzenarten aus verschiedenen Regionen der Erde präsentieren und sie für spannende ökologische Zusammenhänge begeistern. Hierzu trägt beispielsweise der Göttinger Wildbienenpfad bei, der letztes Jahr eröffnet wurde. Durch die zwölf Informationstafeln erfahren die Besucher*innen viel über das Leben der Wildbienen. Denn dieses ist eng mit dem Vorkommen ganz bestimmter Pflanzenarten verknüpft. Gehen bestimmte Pflanzenarten verloren, können auch die von ihnen abhängigen Wildbienenarten nicht überleben, die ihrerseits wichtige Bestäuber der Pflanzen sind.

Für Besucher*innen des Botanischen Gartens gibt es neben dem Wildbienenpfad eine Vielzahl von anderen Angeboten. Darunter zählen Führungen, Informationsveranstaltungen und Infotafeln, die der Öffentlichkeit den Garten und seine Aufgaben näher bringen. Außerdem findet an jedem letzten Samstag im April eine Pflanzenbörse satt. Dabei stehen der Kauf, der Austausch und die gärtnerische Beratung im Mittelpunkt.                

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