Hypatia – eine antike Wissenschaftlerin

Neue Studierenden-Ausstellung im Raum „Schränke“

Mit seinem besonderen Ausstellungskonzept möchte das Forum Wissen veranschaulichen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen, wie mit ihnen umgegangen wird und dass sie einem ständigen Prozess unterliegen. Um diesem Ziel gerecht zu werden, wurden „Freiflächen“ in die Basisausstellung der unterschiedlichen Räume des Wissens integriert. Dabei handelt es sich um Leerstellen auf der Ausstellungsfläche wie zum Beispiel eine leere Vitrine, die im Rahmen einer kleinen Sonderausstellung temporär bestückt werden kann.

Bis zum 15. Oktober 2024 thematisiert nun eine solche Freiflächenausstellung im Raum „Schränke“ die spätantike Philosophin Hypatia. Hypatia und ihre wissenschaftlichen Forschungen im 4. und 5. Jahrhundert sind heute leider wenig bekannt, obwohl über sie in verhältnismäßig vielen antiken Quellen berichtet wird.

Die Freifläche wird mit aussagekräftigen Objekten bestückt

Ausgewählte Objekte, aus vier verschiedenen Sammlungen der Göttinger Universität, sollen in der beidseitig einsehbaren Vitrine verdeutlichen, welche Hürden Hypatia in der Antike nehmen musste, um als Wissenschaftlerin anerkannt zu werden. Gleichzeitig geht es darum zu reflektieren, inwieweit „Schubladendenken“ bis heute Einfluss auf die Wahrnehmung der Philosophin hat.

Wenn es darum geht, Forschungsergebnisse zu verarbeiten und zu verbreiten, greift die Wissenschaft traditionell auf das Einsortieren in unterschiedliche Kategorien zurück. Dies ist einerseits notwendig, um Wissen zu verstehen. Andererseits kann dieses Vorgehen den Blickwinkel einengen und Stereotype fördern. Daher ist es wichtig, wissenschaftliche Kategorien regelmäßig zu überdenken, wie dies im Raum „Schränke“ angeregt wird.

Frauen in der Wissenschaft bleiben unsichtbar

Inwiefern beeinflussen wissenschaftliche Kategorien das Verschwinden von Frauen? Oder: Inwiefern werden Frauen durch wissenschaftliche Kategorien unsichtbar gemacht?

Antike Philosophie beruht auf der Suche nach nachweisbaren/wissenschaftlichen Erkenntnissen. Betrieben wurde diese Suche von männlichen wie auch weiblichen Philosophierenden. Häufig wurde und wird dabei – zum Nachtteil weiblicher Personen – einer vorgefertigten Definition von einigen männlichen Philosophen gefolgt. Demnach hatte eine philosophierende Person Zugang zu hoher Bildung, diese Bildung weitergegeben und eigene Forschungen schriftlichen festgehalten. Dies entspricht nicht allerdings dem antiken Verständnis von Philosophie.

Die Informationen über philosophierende Frauen in antiken Quellen sind überwiegend auf ihre Rolle als Ehefrau, Mutter, Tochter oder Geliebte eines Philosophen beschränkt. Eine Untersuchung der „Vita Pythagorae“ von Jamblichos (3. Jh. n. Chr.) zeigt, wie die Streichung von weiblichen Akteurinnen in der Philosophie vorgenommen wurde.

Die Vita beinhaltet eine Auflistung bekannter Pythagoreer (antike philosophische Strömung). Diese bestätigt 218 Männer und 17 Frauen. Laut Jamblichos stammen die Schwestern Okkelo und Ekkelo aus Lucanien. In den schriftlichen Hinterlassenschaften bei Johannes von Stoboi (5. Jh. n. Chr.) ist festgehalten, dass ein Mann namens Ekkelo ein Werk „über die Gerechtigkeit“ verfasst hat. So wurde aus der Frau Ekkelo ein gleichnamiger Mann gemacht. Dieser Fehler wurde von der Forschung übernommen.

Auch die Philosophin Hypatia war gebildet, sie lehrte und verfasste Schriften. Dennoch ist sie heute kaum bekannt.

Ausschnitt der Freiflächen-Vitrine

Wer war Hypatia?

Hypatia (4./5. Jh.) erreichte als Gelehrte ein hohes Ansehen in der Bevölkerung der Stadt Alexandria, dem Zentrum griechischer Bildung in Ägypten. Sie war die Tochter des Mathematikers Theon. Ihr Vater ermöglichte ihr eine umfangreiche Ausbildung. Antiken Quellen zufolge übertraf Hypatia intellektuell ihren Vater und auch Lehrer.

Vor allem Sokrates von Konstantinopel und Damaskios, ein weiterer bedeutender Philosoph, beschreiben ihren gut besuchten Unterricht und den Respekt, den sie von hohen städtischen Amtsinhabern erhielt. Ihr Schüler Synesius fragte ihre Expertise mehrfach in unterschiedlichen Zusammenhängen an, wie dem Bau von technischen Geräten oder zur Korrektur seines eigenen Werkes. Laut Hesychios verfasste Hypatia drei Schriften. Diese sind größtenteils nicht erhalten, aber die Forschung prüft zur Zeit, ob ein Werk, das bislang ihrem Vater zugeschrieben wird, nicht eigentlich von Hypatia selbst erstellt wurde.

Ihr Verhalten widersprach nicht nur den damaligen Konventionen für Frauen, sondern auch den zeitgenössischen christlichen Lehren. Im Jahr 415 wurde sie aufgrund ihrer Überzeugungen und ihrem öffentlichen Auftreten von christlichen Anhängern brutal ermordet.

In der Vitrine zu Hypatia sind nicht nur Modelle zur Veranschaulichung ihrer mathematischen und technischen Fähigkeiten zu sehen. Auch die Art und Weise, wie sie aufgetreten sein könnte, wird im Film „Agora – Die Säulen des Himmels“ des altertumswissenschaftlichen Filmarchivs der Sammlung Stern gezeigt.

Die Vitrine mit der Freiflächen-Ausstellung „Hypatia“ im Raum „Schränke“

Wie wurde Hypatia nach ihrem Tod wahrgenommen?

Wie Hypatia als Philosophin im Lauf der Geschichte wahrgenommen wurde, ist nur schwer greifbar. Hinweise auf Hypatia sind im 17., im 18. und im 19. Jahrhundert zu finden. Dies steht für eine historische Kontinuität, wenn auch erst ab der frühen Neuzeit. Sie wird anhand unterschiedlicher Darstellungsformate in einem Geschichtswerk, einem historischen Roman, verschiedenen Gemälden, einem Theaterstück oder einem Lexikoneintrag in Szene gesetzt. Dennoch ist hinzuzufügen, ihre Person häufig nicht im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit aufgegriffen wurde. Hypatia ist auf verschiedene Weise instrumentalisiert worden.

Die Mehrheit der Publikationen zur Person Hypatia als Wissenschaftlerin treten erst mit dem Aufkommen des Interesses an Frauen in der Wissenschaft in den 1970er Jahren auf. Ein Beispiel stellt die Veröffentlichung „Hypatias Töchter: der verleugnete Anteil der Frauen an der Naturwissenschaft“ von Margaret Alic aus dem Jahr 1987 dar. In den darauffolgenden Jahrzehnten werden ihre Kenntnisse häufiger aufgegriffen und verarbeitet.

Hypatia wurde im Verlauf der Geschichte aus der Schublade „Randfigur“, in die Kategorie „Antike Frau“ verfrachtet. Danach wurde sie als Wissenschaftlerin benannt. Schlussendlich ist sie aber einfach eine Person, welche wissenschaftlich tätig war und sich der Wissenschaft verschrieben hatte. Die Auswertung von Forschungsergebnissen sollte unabhängig vom Geschlecht beteiligter Wissenschaftler*innen erfolgen. Gleichzeitig gilt es aber, sich die essentielle Bedeutung von Kategorien wie Geschlecht – und die damit verbundenen Zuschreibungen von der Antike bis heute – immer und immer wieder bewusst zu machen. In diesem Sinne ist der „Fall Hypatia“ eine Aufforderung, schriftliches und archäologisches Quellenmaterial, aber auch die spätere Rezeption zu durchleuchten, um die Einordnung als Frau, Wissenschaftlerin, Lehrerin, Vorbild etc. zu erfassen.

Fotos: Uni Göttingen/Anna Greger