Nr. 546
Dies ist der Schädel einer jungen Frau aus Georgien. Im Zweiten Russisch-Österreichischen Türkenkrieg (1787 – 1792) wird sie von russischen Soldaten gefangen genommen und – vermutlich als Zwangsprostituierte – nach Moskau verschleppt. Dort stirbt sie an den Folgen einer Geschlechtskrankheit.
Ihr Schädel geht durch die Hände mehrerer Männer. Der Anatom Johann Konrad Hiltebrandt
trennt ihn bei der Obduktion in Moskau vom Körper und sendet ihn an Baron von Asch in Sankt Petersburg. Dieser leitet ihn 1793 nach Göttingen weiter. Blumenbach macht ihn zum „Musterschädel“ der „kaukasischen Varietät“. Stilisiert als „idealisch bildschöner Schedel vom schönsten Blute im Menschengeschlecht“ wird er zum Vorzeigeobjekt seiner Sammlung.
This is the skull of a young woman from Georgia. During the Second Russo-Turkish War (1787 – 1792), she was captured by Russian soldiers and taken to Moscow, where she was likely forced into prostitution. She died there from venereal disease.
Her skull passed through the hands of several men. During her autopsy in Moscow, the anatomist Johann Konrad Hiltebrandt separated it from her body and sent it to Baron von Asch in St. Petersburg. He passed it on to Göttingen in 1793. Blumenbach used it as the “specimen skull” of the “Caucasian variety”. Stylised as an “ideally beautiful skull from the most beautiful blood in the human race”, it became the showpiece of his collection.
Nr. 560
Dies ist der Schädel von Tschewin Amureew. Der Mittzwanziger lebt als Angehöriger der indigenen Gruppe der Ewenken in Sibirien, einige hundert Kilometer vom Baikalsee entfernt. Im Jahr 1791 stranguliert er sich aus unbekannten Gründen.
Über einen Arzt des russischen Militärs vor Ort gelangt der Schädel in die Hände des
Barons von Asch in Sankt Petersburg. Dieser schickt ihn mit den Schädeln von acht weiteren Personen im September 1792 nach Göttingen. Blumenbach macht Amureews Schädel hier zum „Musterschädel“ der „mongolischen Varietät“. Die Bezeichnung „Tunguse“ (für das heutige Ewenke) schreibt er an verschiedenen Stellen direkt auf den Knochen.
This is the skull of Tschewin Amureew. This man, who died in his mid-twenties, lived as a member of the Evenki indigenous group in Siberia, a few hundred kilometres from Lake Baikal. In 1791, he strangled himself for unknown reasons.
By way of a local Russian military doctor, his skull came into the hands of the Baron of Asch in St. Petersburg. He sent it to Göttingen along with the skulls of eight other people in September 1792. Blumenbach made Amureew’s skull the “specimen skull” of the “Mongolian variety”. He wrote the description “Tunguse” (the name used at the time to refer to the Evenki) directly onto the bone in various places.
Nr. 665
Dies ist der Schädel einer 28-jährigen Frau. Geboren und aufgewachsen in Westafrika, lebt sie wohl eine Zeitlang in Elmina, einem holländischen Stützpunkt des atlantischen Sklavenhandels im heutigen Ghana. Von hier zieht sie mit einem Holländer nach Amsterdam, wo sie um 1790 aus unbekannten Gründen verstirbt.
Blumenbach sichert sich ihren Schädel ein Jahr später auf einer Reise nach England bei einem Zwischenstopp
in Utrecht von einem holländischen Kollegen. Zurück in Göttingen macht er ihn 1795 zum „Musterschädel“ der „äthiopischen Varietät“. Angaben zu Quelle, Ort und Datum des Erwerbs sowie zur Klassifikation und Publikation des Schädels notiert er auf Unterkiefer und Schläfenbein.
This is the skull of a 28-year-old woman. Born and raised in West Africa, she likely lived for a time in Elmina, a Dutch hub of the Atlantic slave trade in what is now Ghana. From here, she moved with a Dutchman to Amsterdam, where she died around 1790 of unknown causes.
Blumenbach acquired her skull from a Dutch colleague during a stopover in Utrecht while on a journey to England in 1791. Back in Göttingen, he made it the “specimen skull” of the “Ethiopian variety” in 1795. He notes information on the provenance, place
and date of acquisition, as well as the classification and publication of the skull on the mandible and temporal bone.
Nr. 769
Dies ist der Schädel eines Mannes aus Tahiti. Über sein Leben und seinen Tod ist nichts bekannt. Der Weg des Schädels offenbart jedoch Verflechtungen von Wissenschaft, Ökonomie und Kolonialismus.
Auf Tahiti fällt er in die Hände des britischen Kapitäns William Bligh. Dessen Auftrag ist es, Stecklinge des Brotfruchtbaums vom Pazifik in die Karibik zu überführen, wo sie als billiges Nahrungsmittel der britischen Sklavenwirtschaft dienen sollen. Bei der Rückkehr von dieser Fahrt übergibt er den Schädel an Joseph Banks, Präsident der Royal Society. Dieser schickt ihn 1794 an Blumenbach, der ihn zum „Musterschädel“ der „malayischen Varietät“ macht. Zum Dank widmet er Banks die dritte Auflage seiner Dissertation De generis humani varietate nativa (1795).
This is the skull of a man from Tahiti. Nothing is known about his life or his death. However, the path taken by the skull reveals an interweaving of science, economics and colonialism.
In Tahiti, it fell into the hands of the British captain, William Bligh. His mission was to transport cuttings of the breadfruit tree from the Pacific to the Caribbean, where they were to serve as a cheap source of food for the British slave economy. Upon his return from this voyage, he presented the skull to Joseph Banks, President of the Royal Society. The latter sent it to Blumenbach in 1794, who made it the “specimen skull” of the
“Malayan variety”. In gratitude, Blumenbach dedicated the third edition of his dissertation De generis humani varietate nativa (1795) to Banks.
Nr. 778
Dies ist der Schädel eines Fürsten von der karibischen Insel Saint Vincent. Um 1786 stirbt er und wird an einer entlegenen Stelle der Insel begraben. Drei Jahre später wird sein Grab von einem Beamten der britischen Krone, unter deren Herrschaft die Insel steht, gezielt geöffnet, um den Schädel zu entwenden. An der Unrechtmäßigkeit dieser Tat lässt der Grabräuber selbst keinen Zweifel: „[E]s ist nicht einfach, an Schädel der gelben Kariben zu kommen […] ihre Grabstätten sind versteckt & jeder Versuch, die Totenruhe
zu stören, wird als das größte aller Verbrechen betrachtet”.
Hintergrund der Aktion sind die langjährigen Versuche Blumenbachs, an Schädel aus der westlichen Hemisphäre zu gelangen. Mit Nachdruck wendet er sich unter anderem an den Präsidenten der Royal Society in London, Joseph Banks, der seine Hebel in Bewegung setzt. 1789 meldet er stolz Vollzug und schickt den geraubten Schädel des karibischen Chiefs nach Göttingen. Blumenbach macht ihn zum „Musterkopf“ der „amerikanischen Varietät“.
This is the skull of a prince from the Caribbean island of Saint Vincent. He died around 1786 and was buried at a remote spot on the island. Three years later, his grave was deliberately opened by an official of the British Crown, the then rulers of the island, in order to steal the skull. The grave robber himself was under no illusions about the injustice of this act: „it is a very dificult thing to get the Crania of the yellow Carribes […] their burial places are not easily Found & an attempt to disturb them is lookd upon as the greatest of Crimes”.
The background to this act was Blumenbach’s long-standing attempts to obtain skulls from the western hemisphere. He emphatically appealed to the president of the Royal Society in London, Joseph Banks, among others; Banks then set plans in motion to acquire a skull. In 1789, he proudly announced that he had achieved Blumenbach’s goal, and sent the stolen skull of the Caribbean chief to Göttingen. Blumenbach made him the “
specimen skull” of the “American variety”.